Stand: Montag, 15. Dezember 2025, um 20:04 Uhr
Apotheken-News: Kommentar von heute
Kommentar von Seyfettin Günder zu den aktuellen Apotheken-Nachrichten über dm-Preisoffensive im OTC, Strukturfolgen für die Fläche, Mehrbesitzdebatte und Konzentrationsrisiken
Der Schritt von dm ist kein weiterer Markteintritt, sondern eine Vorentscheidung über das, was künftig als selbstverständlich gilt. Eine aggressive Dauerpreislogik bei apothekenpflichtigen OTC verschiebt nicht nur den Wettbewerb, sondern die politische Deutung dessen, was Versorgung kosten darf. Preis wird zur ersten Botschaft, Beratung zur erklärungsbedürftigen Zusatzleistung. In diesem Moment beginnt Strukturpolitik, auch wenn sie noch nicht so genannt wird.
Denn Preis wirkt schneller als jedes Positionspapier. Er setzt Erwartungen, die später in Gesetzgebungsverfahren wieder auftauchen – nicht als Forderung, sondern als scheinbare Realität. Wenn OTC dauerhaft günstig und jederzeit verfügbar erscheinen, wirkt jede Form von Sicherheitsarbeit plötzlich wie ein Kostenproblem. Das verändert den Ton der Debatte. Aus Verantwortung wird Effizienz, aus Abwägung wird Bequemlichkeit. Wer diese Verschiebung unterschätzt, verkennt die eigentliche Sprengkraft der Preisansage.
Hinzu kommt die Flächenlogik. Eine Drogeriekette mit Alltagspräsenz schafft Nähe ohne medizinischen Anlass. Gesundheit wird Teil der Routine, nicht des bewussten Entschlusses. Die Idee einer Apotheke im Drogeriemarkt ist deshalb kein Randgedanke, sondern der nächste logische Schritt in dieser Erzählung. Sie rahmt Regeln als Hemmnisse und Ausnahmen als Fortschritt. Genau so beginnt die Erosion eines Prinzips, ohne es offen anzugreifen.
Das Mehrbesitzverbot steht dabei nicht im Mittelpunkt – noch nicht. Aber es rückt in Reichweite. Nicht durch einen Frontalangriff, sondern durch die Normalisierung von Sonderlösungen. Erst räumliche Kooperationen, dann organisatorische Modelle, später „pragmatische Anpassungen“. Was als Einzelfall verkauft wird, wird zur Folgerichtigkeit erklärt. Und wenn der Markt sich erst an Kettenlogik gewöhnt hat, erscheint Selbstständigkeit schnell als Anachronismus.
Die Konsequenz ist absehbar: Konzentration. Nicht zwingend sofort, aber stetig. In einem Umfeld aus Dauerpreis, Skalierung und politischer Ermüdung verlieren inhabergeführte Betriebe ihre Puffer. Nachfolge wird riskanter, Investitionen werden vertagt, Personalentscheidungen defensiver. Das ist kein plötzlicher Bruch, sondern ein langsamer Rückzug. Am Ende stehen weniger Inhaber, größere Einheiten, geringere Vielfalt – und eine Versorgung, die effizient aussieht, aber verletzlicher wird.
Die entscheidende Frage lautet deshalb nicht, ob Wettbewerb legitim ist. Sie lautet, ob ein System, das Sicherheit leisten soll, dauerhaft nach Konsummaßstäben organisiert werden kann. Wer Preis zum Leitstern macht, muss erklären, wer für die Folgen haftet, wenn Beratung zur Randnotiz wird. Diese Erklärung steht noch aus. Und solange sie fehlt, arbeitet die Dauerpreislogik weiter – leise, aber wirksam.
An dieser Stelle fügt sich das Bild.
Preis wirkt schneller als Argumente. Er formt Gewohnheiten, bevor Regeln reagieren. Wenn Gesundheitsprodukte im Alltag immer günstiger und einfacher erscheinen, wird Verantwortung unsichtbar. In dieser Unsichtbarkeit entsteht politische Bewegung – nicht laut, sondern selbstverständlich.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt. Wo Dauerpreis zur Normalität wird, verschiebt sich Macht leise von Verantwortung zu Reichweite. Die Frage ist nicht, ob sich Strukturen verändern, sondern ob Politik erkennt, wann Veränderung zur Aufgabe wird. Und ob Schutz rechtzeitig greift, bevor Gewöhnung entscheidet.
SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@aporisk.de
Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.
Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.
Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.
Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.
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