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Drei wichtige neue Gerichtsentscheidungen zum Thema Scheinselbstständigkeit

(PresseBox) (Hamburg, )
Durch das Bundessozialgericht (BSG) sowie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen sind in der letzten Woche drei sehr relevante Entscheidungen zum Thema Scheinselbstständigkeit ergangen. Konkret ging es um Honorarärzte (= scheinselbstständig), Pflegekräfte (= scheinselbstständig) sowie um Seminarleiter im Bundesfreiwilligendienst (= nicht scheinselbstständig). Die Auswirkungen der Entscheidungen sind aber berufsübergreifend relevant und betreffen damit sämtliche Arbeitgeber, die Honorarkräfte einsetzen. Mit diesem Sonderrundschreiben fassen wir die drei Entscheidungen zusammen und bewerten diese abschließend.

1. BSG: Pflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig

Pflegekräfte, die als Honorarpflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte der Sozialversicherungspflicht. Dies hat das BSG am 7.6.2019 entschieden (Az.: B 12 R 6/18 R als Leitfall).

Zwar haben nach Auffassung der BSG-Richter weder der Versorgungsauftrag einer stationären Pflegeeinrichtung noch die Regelungen über die Erbringung stationärer Pflegeleistungen oder das Heimrecht des jeweiligen Landes eine zwingende übergeordnete Wirkung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Status von in stationären Einrichtungen tätigen Pflegefachkräften.

Regulatorische Vorgaben seien jedoch bei der Gewichtung der Indizien zur Beurteilung der Versicherungspflicht zu berücksichtigen. Sie führten im Regelfall zur Annahme einer Eingliederung der Pflegefachkräfte in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung. Unternehmerische Freiheiten seien bei der konkreten Tätigkeit in einer stationären Pflegeeinrichtung kaum denkbar.

Selbstständigkeit könne nur ausnahmsweise angenommen werden. Hierfür müssten gewichtige Indizien sprechen. Bloße Freiräume bei der Aufgabenerledigung, zum Beispiel ein Auswahlrecht der zu pflegenden Personen oder bei der Reihenfolge der einzelnen Pflegemaßnahmen, reichten hierfür nicht.

Ausgehend davon sei die beigeladene Pflegefachkraft im Leitfall bei dem Pflegeheim beschäftigt. Sie habe – nicht anders als bei dem Pflegeheim angestellte Pflegefachkräfte – ihre Arbeitskraft vollständig eingegliedert in einen fremden Betriebsablauf eingesetzt und sei nicht unternehmerisch tätig gewesen. An dieser Beurteilung ändere auch ein Mangel an Pflegefachkräften nichts: Die sowohl der Versichertengemeinschaft als auch den einzelnen Versicherten dienenden sozialrechtlichen Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht seien auch in Mangelberufen nicht zu suspendieren, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete“ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.

2. BSG: Honorarärzte im Krankenhaus sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig

Ärzte, die als Honorarärzte in einem Krankenhaus tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht. Dies hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts am 4.6.2019 entschieden (Az.: B 12 R 11/18 R als Leitfall). Bei einer Tätigkeit als Arzt sei eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht von vornherein wegen der besonderen Qualität der ärztlichen Heilkunde als Dienst „höherer Art“ ausgeschlossen, so das BSG. Entscheidend sei, ob die Betroffenen weisungsgebunden beziehungsweise in eine Arbeitsorganisation eingegliedert seien. Letzteres sei bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrsche, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben. So seien Anästhesisten – wie die Ärztin im Leitfall – bei einer Operation in der Regel Teil eines Teams, das arbeitsteilig unter der Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten muss. Auch die Tätigkeit als Stationsarzt setze regelmäßig voraus, dass sich die Betroffenen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen. Im Leitfall sei die Ärztin wiederholt im Tag- und Bereitschaftsdienst und überwiegend im OP tätig gewesen.

Hinzu komme, so das BSG weiter, dass Honorarärzte ganz überwiegend personelle und sachliche Ressourcen des Krankenhauses bei ihrer Tätigkeit nutzen. So sei die Ärztin hier nicht anders als beim Krankenhaus angestellte Ärzte vollständig in den Betriebsablauf eingegliedert gewesen. Unternehmerische Entscheidungsspielräume seien bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben. Die Honorarhöhe sei nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien und vorliegend nicht ausschlaggebend. Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen habe keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Vorliegens der Versicherungspflicht.

3. LSG Nordrhein-Westfalen: Keine Rentenversicherungspflicht für studentische BFD-Seminarleiterin

Eine Tätigkeit als Seminarleiterin anlässlich der pädagogischen Begleitung im Bundesfreiwilligendienst (BFD) unterliegt nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Art und Umfang der Tätigkeit sprächen nach einer Gesamtbetrachtung gegen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses, entschied das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen mit einem nunmehr rechtskräftigen Urteil (Az. L 8 R 660/16).

Die Klägerin ist eine gemeinnützige Gesellschaft, deren Gesellschaftszweck in der Betreuung hilfsbedürftiger Menschen besteht. Hinter ihr steht ein Wohlfahrtsverband, der Freiwilligendienste in der Form des BFD anbietet. Im Rahmen der hierfür einschlägigen gesetzlichen Regelungen erfolgt eine pädagogische Begleitung mit dem Ziel, den Teilnehmern soziale, ökologische, kulturelle und interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln und ihr Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl zu stärken. Die Klägerin schloss hierzu mit der beigeladenen Studentin Honorarverträge über die Übernahme von Seminarleitungen ab. Der beklagte Rentenversicherungsträger stellte die Versicherungspflicht der Beigeladenen in der Rentenversicherung fest. Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich.

Das LSG hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und die Berufung des Rentenversicherungsträgers zurückgewiesen. Die beigeladene Studentin sei nicht auf Grund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses als Dozentin rentenversicherungspflichtig gewesen. In der Gesamtabwägung sprächen die zwischen der Klägerin und der Beigeladenen getroffenen vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächliche Umsetzung überwiegend für eine selbstständige Tätigkeit.

Weisungsbefugnisse, kraft derer die Klägerin befugt gewesen wäre, gegenüber der Beigeladenen Anordnungen in inhaltlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht zu erteilen, hätten die an der Auftragsbeziehung Beteiligten nur in sehr eingeschränktem Umfang vereinbart. Indizien, die die Annahme einer Eingliederung der Beigeladenen in die Arbeitsorganisation der Klägerin tragen würden, seien den getroffenen Vereinbarungen ebenfalls nicht in einem eine abhängige Beschäftigung prägenden Umfang zu entnehmen. Die pädagogische Begleitung der Freiwilligen obliege in erster Linie den hauptamtlichen pädagogischen Fachkräften, deren vorrangige Verantwortung etwa in dem pädagogischen Rahmenkonzept der Klägerin deutlich werde.

4. Bewertung

 „The trend is your friend“ – jüngere Entscheidungen des Bundessozialgerichts sowie des Bundesarbeitsgerichts, nach den die Bezahlung einer überdurchschnittlichen Vergütung bzw. der parteienseitige Wunsch nach einer selbstständigen Beschäftigung Indiz für eine echte Selbstständigkeit waren, deuteten zuletzt scheinbar auf ein Ende der jahrelangen Scheinselbstständigkeits- Welle hin. Vorbei – die neuen Entscheidungen des BSG zeigen, dass dies ein Trugschluss war. Vielmehr kommt es auch künftig im Rahmen einer Gesamtabwägung auf die Weisungsabhängigkeit, die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation sowie das Vorhandensein unternehmerischer Spielräume an. Eine hohe Vergütung sei dabei nur eines unter vielen Kriterien, die in der Gesamtabwägung eine Rolle spielen.

Das BSG brachte dabei das Kriterium prominent neu ins Spiel, wonach derjenige, der Teil eines Teams sei, das arbeitsteilig unter der Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten muss, nicht als selbstständig zu erachten sei. Nimmt man dieses Kriterium ernst, so können danach grds. nur noch solche Honorarkräfte rechtssicher beauftragt werden, die – ohne Teil eines Teams zu sein – alleine eine Dienst- oder Werkleistung erbringen.

Soweit Sie Honorarkräfte beauftragen, empfehlen wir Ihnen vor dem Hintergrund der erneuten Verschärfung der Kriterien seitens der Rechtsprechung eine kritische Prüfung der Beauftragungsbedingungen mit der jeweiligen Honorarkraft. Gern sind wir Ihnen hierbei behilflich.

 

 

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